Präzises Belichten mit dem Histogramm

Sag mir, wieviele Pixel weiß sind …

Bildbearbeiter kennen das Histogramm – die schlichte Zählfunktion – bereits aus ihrem Bildbearbeitungsprogramm. In der Bildbearbeitung ist das Histogramm eine Hilfestellung bei der Korrektur von unter- und überbelichteten Fotos.

Das Balkenhistogramm liefert die Verteilung der dunkeln und hellen Pixel im Bild. Liegt ein hoher Balken am linken Rand, sind größere Bildbereiche reinschwarz (absolut unterbelichtet), ein hoher Balken am rechten Rand zeigt eine Überbelichtung mit reinweißen Bildbereichen ohne jegliche Zeichnung.

Das Histogramm ist ein Zonensystem wie das Zonensystem von Ansel Adams – nur sind es hier 256 und nicht 10 Zonen. Außerdem funktioniert das digitale Zonensystem – das Histogramm – auch beim Farbfoto.

Foto kontrastarm
Das Histogramm reicht nicht bis rechts und nicht bis links – das Foto wirkt leicht kontrastarm.
Foto mit maximalem Kontrast
Das Histogramm reicht vom Schwarz bis zum Weiß. Der maximale Kontrast ist erreicht.

Belichten wie Ansel Adams

Spotmessung, mittenbetonte Integral- oder Matrixmessung können zwar steuern, wie die Belichtungsmessung agiert, aber es gibt keine Bestätigung, dass die jeweilige Messmethode zum korrekten Ziel führt – geschweige denn, dass die Belichtung ein optimales Ergebnis erzeugt.

Das Histogramm im Live View der Digitalkamera ist die beste Belichtungskontrolle, die es je gab.

Lichtsituationen, durch die sich die Belichtungsmessung der Kamera im wahrsten Sinne hinter das Licht führen lässt, gibt es trotz aller Raffinessen der modernen Belichtungsmessung noch genug.

So kommt es immer wieder zu Über- und Unterbelichtungen und kontrastarmen Fotos:

Bogengang überbelichtet
Der Hof am Ende des Bogengangs überbelichtet
Bogengang: Unter- und Überbelichtung
Und noch ein Torbogen mit Blick ins Licht …
Unterbelichtung in Fotos mit Schnee
Bilder von Schnee – so viel Weiß im Bild führt immer wieder zu einer Unterbelichtung
Unterbelichtung am Sandstrand
Und auch ein Sandstrand in Kombination mit dem reflektierten Licht der Wasseroberfläche kann eine Unterbelichtung mitbringen.

Ob Matrix-Messung, Spotmessung oder mittenbetonte Messung: Diese Methoden der Belichtungsmessung sind immer nur ein Kompromiss.

Auch das Bild auf dem auf dem Display der Digitalkamera kann uns nicht zuverlässig zeigen, ob die Kamera den Kontrastumfang der Szene vor dem Objektiv tatsächlich voll erfasst oder ob die Belichtung den Kontrastumfang sprengt und Abblenden angesagt ist.

Punktgenau belichten

Eine Belichtung mit dem Blick auf das Histogramm steuert die Belichtung mit einer nie zuvor gesehener Präzision: Schon vor dem Auslösen ist ersichtlich, ob das Bild die volle Zeichnung in den tiefsten Schatten und den hellsten Bereichen zeigt, durch die ein Foto perfekt belichtet wird.

Zeigt sich ein Anstieg am rechten oder linken Rand des Histogramms, kann der Fotograf der potentiellen Fehlbelichtung durch eine Belichtungskorrektur entgegentreten. Mit jeder drittel Blende mehr wandert das Helligkeitsgebirge des kleinen Histogramms ein Stück nach rechts, bis die senkrechten Balken knapp vor dem rechten Rand des Histogramms enden. Ohne „trial and error“ wird die Aufnahme perfekt belichtet.

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histogramm-weisspunkt-belichtung-640
Simulation: Histogramm der Digitalkamera

Schwachstelle der Sensoren: Keine Gnade für die Lichter

So wie das analoge Bild mit dem Zonensystem auf die Schatten belichtet wurde, galt in den Anfangstagen der digitalen Fotografie „lieber etwas unterbelichten“, da sich die zeichnungsarmen Schatten im Bildbearbeitungsprogramm so einfach mit der Tonwertkorrektur aufhellen lassen, ohne dabei die Lichter in Mitleidenschaft zu ziehen. Die Unterbelichtung sorgte dafür, dass die Lichter eine ausreichende Durchzeichnung erhalten.

Überbelichtete Partien machen ein Foto schnell unwiderruflich unbrauchbar. Wo der Sensor keine Zeichnung erfasst hat, holt kein Bildbearbeitungsprogramm jemals Zeichnung hervor. Der Sensor hat die Ladung so lange akkumuliert, „bis der Eimer voll war“ (das Bildweiß erreicht wurde) und alle weiteren Photonen skrupellos ignoriert.

Blichten mit dem Histogramm
Weiß bleibt Weiß – kein Bildbearbeitungsprogramm wird Zeichnung aus den ausgebrannten Bildbereichen holen

Die dunkle Seite der Helligkeitskorrektur: Rauschen

Die Korrektur der unterbelichteten Aufnahme bringt allerdings nicht nur die Zeichnung aus den Tiefen ans Tageslicht, sondern auch das »Rauschen« (einzelne fehlfarbene Pixel) und die Helligkeitskorrektur ist immer mit einem leichten Farbshift verbunden.

Vorsichtig unterbelichtet, damit die Lichterzeichnung im Schnee nicht zu gefährden
Vorsichtig unterbelichtet, um die Lichterzeichnung im Schnee nicht zu gefährden
Tiefen aufhellen
Ein Aufhellen der Tiefen zeigt das Rauschen

Aber das ist nur die äußere sichtbare Wirkung. Dahinter gehen die Verluste einer Belichtung auf die Schatten noch tiefer. Das digitale Bild erreicht einen Kontrastumfang von ~ 10 bis 14 Blendenstufen. Die Tonwerte der Blendenstufen sind aber nicht gleich verteilt. Für die hellen Stufen werden mehr Tonwerte bereit gestellt als für die dunklen Bereiche. Jede Stufe nach der hellsten Stufe enthält nur noch die Hälfte der Tonwerte.

Eine Belichtung auf die dunklen Tonwerte wird also immer einen großen Teil der Helligkeitsstufen verschenken.

Lichter verschenkt
Lichter ausgenutzt

Die Fotografen mit der Live-Vorschau auf dem Display haben darum eine Strategie für die Belichtungssteuerung über das Histogramm entwickelt: Belichten auf den Weißpunkt des Histogramms.

Das Maximum an Licht einfangen

Statt die Aufnahme unterzubelichten, darf der Fotograf mit dem Blick aufs Histogramm so viel Licht durch das Objektiv lassen, bis die Balken des Histogramms am rechten Rand ankommen. So ist sichergestellt, dass keine Überbelichtung ein weißes Loch in das Foto reißt. Das Bild wird insgesamt heller, die Detailzeichnung in den Tiefen wird ohne Korrektur sichtbar – im Grunde genommen folgen wir der Anweisung des Zonensystems: Die Schatten schon bei der Aufnahme so weit wie möglich öffnen.

Nebenbei: Wenn das Bild durch diese Belichtungsstrategie insgesamt zu hell ausfällt, darf es ohne Reue im Bildbearbeitungsprogramm durch eine Tonwertkorrektur abgedunkelt werden. Der Ausdruck auf dem Tintenstrahldrucker wird auf jeden Fall dankbar für das zusätzliche Licht sein und die dunklen Schattenseiten nicht mehr ins Schwarz »absaufen« lassen.

Zwar gibt es keine Entwicklung der Lichter, bis die Zeichnung wie einst in der Dunkelkammer zum Vorschein kommt, dafür sind die Lichter dank des Histogramms »auf den Punkt gebracht«. Der passende Spruch für den Digitalfotografen lautet also: Belichten auf den Weißpunkt des Histogramms.

Die Frage, ob eine Spot-, mittenbetonte oder Matrixmessung angebracht wäre, tritt in den Hintergrund. Stattdessen wird je nach Motiv und Bildaussage eine Blende oder Zeit vorgewählt, um mit den Informationen des Histogramms und der Vorschau auf dem Display Blende oder Zeit zu korrigieren (z.B. durch eine Blendenkorrektur in Schritten von je einer Drittel Blende), bis das bildwichtige Motiv herausgearbeitet wird.

Fazit

Zusammen mit dem schnellen Griff zur Belichtungskorrektur ist das Histogramm im Live View eine wertvolle Bereicherung der Belichtungsstrategien. Das Allheilmittel gegen falsche Belichtungen ist auch das Histogramm natürlich nicht. Ein hoher Kontrastumfang, den der Sensor nicht erfassen kann, kann durch eine Belichtung via Histogramm immer noch nicht erfasst werden. In immer mehr Kameras geht die Kamerasoftware mit unterschiedlichen Strategien gegen dieses alte Dilemma der Fotografie vor:

  • durch ein generelles Absenken des Kontrastumfangs,
  • durch eine Belichtung auf den Weißpunkt und öffnen der dunklen Bildbereich schon in der Kamerasoftware.

Und am Ende ist alles auch nicht so kompliziert: Das Belichten auf den Weißpunkt des Histogramms erfordert nicht den starren Blick auf das winzige Viereck, das die Kamerahersteller dem Histogramm auf dem Display der Digitalkamera gönnen.

Das kann man bei geruhsamen Landschaftsaufnahmen oder in der Architekturfotografie zur Übung ein paar Mal durchführen – Sport kann man so nicht fotografieren. Belichten auf den Weißpunkt des Histogramms ist die Strategie für die Available Light-Fotografie mit extrem hohen ISO-Werten. Auch wenn die Belichtungszeiten länger werden oder alternativ ein noch höherer ISO-Wert eingestellt werden muss als bei leichten Unterbelichtungen reduziert das Öffnen der dunkelsten Bildbereiche das Rauschen und hinterlässt ein größeres Spektrum von Tonwerten.

Die Übungen bringen schnell die Erfahrung und fördern das Verständis für den Belichtungsprozess und auch für das Verhalten der Belichungsmessung der eigenen Kamera. Wir führen die Belichtung auf den Weißpunkt des Histogramms im Aufbaukurs Fotografie in Köln, Bonn und Duisburg in einer Übung vor.