Bokeh – die feine Unschärfe
Welcher Fotograf sehnt sich nicht nach lichtstarken Objektiven für die Unschärfe hinter dem Motiv, den weichen Hintergrund? Die Schärfe des Motivs vor dem weichgezeichneten Hintergrund ist ein starker Kontrast in der Bildgestaltung.
Während die Fotografen mit der Mittelformatkamera oder dem Großformat in der Zeit des analogen Films um jedes Quäntchen Schärfe gekämpft haben, kämpfen wir heute um eine ordentliche Weichzeichnung hinter dem Motiv – um das Bokeh. Wie hält man die Schärfentiefe an der kurzen Leine?
Große Blenden sind nicht genug
Das einfache Öffnen der Blende allein hilft nicht. Zur Schärfentiefe trägt auch die Größe des Sensors bei und die Abbildungsgröße des Motivs im Foto hat ebenfalls ein hohes Gewicht.
Mit der digitalen APS-C-Kamera und selbst mit dem Vollformatsensor müssen wir die Fototechnik und die Bildgestaltung voll ausreizen, um die schöne Unschärfe hinter dem Motiv zu ergattern.
Faktoren der Schärfentiefe
Das einfachste Mittel für die Auflösung hinter dem fotografierten Motiv scheint eine große Blende zu sein, denn die Blende können wir jederzeit ändern.
Je größer die Blende, desto kürzer ist die Schärfentiefe.
Die anderen Faktoren für die Schärfentiefe hängen von der Bildgestaltung und dem Equipment ab und bilden ein Geflecht von Abhängigkeiten:
- die Abbildungsgröße
- der Abstand vom Motiv,
- die Brennweite in Kombination mit der Abbildungsgröße des Motivs,
- der Größe des Sensor bzw. des Zerstreuungskreises.
Die Bildgestaltung wollen wir nicht ändern, die Ausrüstung können wir nicht ändern. Die Blende wird geöffnet was das Objektiv hergibt und das Streben dreht sich um lichtstarke Objektive. So durchleben viele Fotografen eine Phase fotografischen Frusts, denn so einfach lässt sich die Schärfentiefe nicht regeln.
Faktor No 1: Größe der Abbildung
Bei Nahaufnahmen tritt die Unschärfe hinter dem Motiv ohne große Anstrengung ein, denn je größer ein kleines Motiv ins Bild gesetzt wird, desto kürzer ist die Schärfentiefe.
Dann zeigt sich die Wirkung einer größeren Blende schon bei wenigen Blendenschritten.
Selbst mit der digitalen Vollformat-Kamera und dem Canon F1.2 85 mm tritt bei einem mannshohen Motiv kein Bokeh zutage, sondern nur eine leichte Unschärfe im Hintergrund. Schon bei einem mittleren Abstand wird die Schärfentiefe so lang, dass kein erkennbares Bokeh entsteht. Gleichzeitig erreicht das Foto nicht die Brillanz und feine Schärfe, die das Objektiv leisten könnte.
Ein Schritt näher auf das Motiv bringt darum schon eine kürzere Schärfentiefe und mehr von der gewünschten Unschärfe hinter dem Motiv. Wer erinnert sich hier nicht an den oft zitierten Spruch »Wenn das Bild nichts geworden ist, bist du nur nicht nah genug ran gegangen«?
Je größer ein kleines Motiv abgebildet wird, desto kürzer wird die Schärfentiefe.
Faktor No 2: Größe der Blendenöffnung
Den Einfluß der Blende sehen wir also am besten bei relativ kleinen Motiven, die groß im Bild abgebildet sind. Welche Blendenschritte zur Verfügung stehen, hängt vom Objektiv und evt. auch von der Brennweite ab.
Blende F/11
Blende F/4
Faktor No 3: Größe des Zerstreuungskreises / der Sensorgröße
Jeder Sensor hat einen individuellen Zerstreuungskreises. Der Zerstreuungskreis ist ein Maß für die Größe des einzelnen Bildpunkts, bei dem wir den Punkt noch als Punkt und nicht als Kreis oder Scheibe wahrnehmen. Sobald wir den Punkt als kleine Scheibe wahrnehmen, ist der Punkt nicht mehr scharf und Unschärfe wird sichtbar.
- Kompaktkameras: ~ 0,006 mm
- Four Thirds-Kameras wie die Olympus E450, Panasonic G1 oder GF1: 0,015 mm
- APS-C-Kameras: ~ 0,02 mm
- Vollformat-Sensoren: ~ 0,03 mm
Je größer der Sensor, desto kürzer ist die Schärfentiefe.
Warum wird hier Blende F/2 an der Four Thirds-Kamera mit Blende F/3.2 verglichen?
Weil im Beispielfoto gut zu sehen ist, dass der Unterschied zwischen dem größeren APS-C-Senor und dem Four-Thirds-Sensor bei etwa einem Blendenschritt liegt.
Faktor 4: Die Brennweite ist kein Faktor und doch ein Faktor
Dass die Brennweite bei gleicher Abbildungsgröße des Motivs stets dieselbe Schärfentiefe bringt, gleich ob sie 50, 100 oder 150 mm beträgt, ist nur wenigen Fotografen bewusst. Nur bei Nahaufnahmen bringt die längere Brennweite eine etwas größere Auflösung hinter dem Motiv.
Aber das ist jetzt schon wieder Theorie. Tatsächlich scheinen Fotos entgegen der Physik ein schöneres Bokeh bei größeren Brennweiten zu zeigen, selbst wenn das fokussierte Motiv genauso groß ins Bild gesetzt wurde.
Dahinter stecken gleich zwei Täuschungen:
- In einem Foto mit kleiner Brennweite rückt der Hintergrund weiter nach hinten, bei großen Brennweiten rutscht der Hintergrund näher an das Motiv.
- Vor allem zoomen die meisten Fotografen, um ein Motiv größer ins Bild zu setzen und dann klappt es natürlich doch mit der großen Brennweite und dem schönen Bokeh.
Verantwortlich ist also gar nicht die Brennweite, sondern die Abbildungsgröße. Aber was zählt, ist schließlich das Resultat.
Erst wenn ein besonders kleines Motiv sehr groß im Foto abgebildet wird, verändert die Brennweite die Schärfentiefe: beim Makro. Dann wollen wir gar nicht so viel von der Weichzeichnung, denn Nahaufnahmen und Makro brauchen eher eine lange Schärfentiefe.
Und noch ein Faktor: Abstand des Motivs zum Hintergrund
Die Schärfentiefe hat nur eine endliche Länge, und je weiter das Motiv vom Hintergrund entfernt ist, desto besser trennt die Unschärfe das Motiv vom Hintergrund.
Grund genug, jetzt für eine Vollformatkamera zu sparen?
Der Vollformatsensor bringt die begehrte Unschärfe schneller in den Hintergrund als die APS-C-Kamera. Die APS-C-Kamera bringt bei gleichen Einstellungen eine schnellere Unschärfe als die Four-Thirds-Kamera.
Am Ende folgen die Kompakt- und Bridgekamera, die durch ihren kleinen Sensor die Schärfe von vorn bis hinten ausdehnen.
Jeder Kameratyp kann die anderen Techniken einsetzen: Weiter weg vom Motiv und das Motiv heranzoomen, das Motiv groß ins Bild setzen und aus einer Position mit einem möglichst großen Abstand zum Hintergrund aufnehmen.
Die manuelle Steuerung der Kamera endet nicht mit dem Programm A bzw. AV und dem Einstellen der Blende, sondern gewinnt durch den Einsatz aller fotografischen Techniken für die Bildgestaltung.
Landschafts- und Architekturfotografie: Sonne lacht, Blende 8
Zu oft werden Aufnahmen mit der offenen Blende erfasst und verschenken die beste Leistung des Objektivs. Landschaft und Architektur profitieren selten von einer großen Blende.
Auf der anderen Seite bringt die offene Blende schon bei einem mittleren Abstand vom Motiv oft kaum noch eine sichtbare Unschärfe in den Hintergrund und Vordergrund des Bildes, so dass wir beruhigt eine Blende tiefer greifen dürfen.
Die Stärken der lichtstarken Objektive
Lichtstarke Objektive bringen neben der schönen Auflösung hinter dem Motiv – dem Bokeh oder der Weichzeichnung – noch weitere Vorteile.
- Sie machen den Sucher heller und erleichtern das Scharfstellen, denn der Sucher zeigt das Motiv immer durch die größte Blende oder »Offenblende« des Objektivs.
- Die Kreuzsensoren des Autofokussystems sprechen erst bei großen Blenden an, so dass lichtstarke Objektive sicherer und schneller scharf stellen und der Kamera Dampf machen.
- Je lichtstärker das Objektiv, desto brillanter wirken die Farben und um so plastischer wirkt das Motiv.
Und natürlich lassen sich Objektive mit großen Offenblenden abblenden, ohne dass gleich eine ellenlange Schärfe im Bild entsteht.
Tatsächlich ist die Blende ja nicht allein verantwortlich für die schöne Unschärfe vor und hinter dem Motiv – sie gar keine sooo große Rolle unter all den Faktoren, die zum heißbegehrten Bokeh beitragen.