Wenn das Foto aus dem Rahmen fällt
Wenn senkrechte Wände im Foto nur ein paar Grad kippen, beschleicht uns ein leichtes Unbehagen: Fällt der Bau gleich aus dem Rahmen?
Das zweidimensionale Bild hat keine Tiefe, sondern erzeugt den Eindruck von Tiefe durch die Verkleinerung und das Zusammenlaufen der Linien zum Fluchtpunkt.
Die Kamera ist kein Auge
Die Kamera funktioniert nicht wie das menschliche Sehen. Wird sie nach oben oder unten gekippt, laufen die senkrechten Linien nach oben oder unten zusammen: So entstehen die stürzenden Linien.
Unsere Augen korrigieren die Konvergenz – das Zusammenlaufen der senkrechten Wände – automatisch, die Kamera hingegen nicht.
Die Erfindung der Perspektive war eine Sensation in der Renaissance. Die Maler liessen die Senkrechte parallel zum Bildrand laufen, die Horizontale verhält sich gemäß der Perspektive und verkleinert sich nach oben.
Die Fotografie hält sich an diese Konvention, um das Bild verständlicher zu machen.
Auf die Senkrechte gepolt
Die Froschperspektive hat ihren Reiz – aber für den Betrachter bedeuten stürzende Linien im Bild immer Übersetzungsarbeit für den Kopf im Hintergrund.
Wir nehmen stürzende Wände nicht bewusst wahr, Maler malen selten stürzende Linien. Unsere Computerspiele nutzen eine besondere Perspektive – die Isometrie –, die einen Blick von oben auf die Szene gibt, aber die senkrechten Linien nicht stürzen lässt.
Die geheimnisvollen Städte (Peters, Schuiten)
Pierre-Auguste Renoir: Monet beim Malen in seinem Garten in Argenteuil, 1873
Fotos mit stürzenden Linien wurden schon in der Dunkelkammer mit einem beträchtlichen Aufwand korrigiert. Seit den Anfängen der Fotografie gibt es die Fachkamera, die durch ein kompliziertes Verfahren stürzende Wände schon vor der Aufnahme entzerren kann.
Die Fachkamera auf der optischen Bank: Das Schwenken des Objektivs gegen die Film- oder Sensorebene entzerrt das Bild schon vor der Aufnahme. Bis heute unerlässlich für die Produktfotografie.
Shiftobjektive werden als Wechselobjektive für »normale« Kameras eingesetzt.
Ein Beispiel: Rekord-Shift-Objektiv: Laowa 4,5/15 mm Zero-D Shift – Weitwinkel-Shiftobjektiv für die Architekturfotografie.
Perspektivenkorrektur im Bildbearbeitungsprogramm
Wer noch Bilder in der Dunkelkammer mit dem Vergrößerungsgerät entzerrt hat oder mit der Fachkamera Architektur fotografiert hat, weiß die Perspektivenkorrektur im Bildbearbeitungsprogramm zu schätzen. Heute bringen die Bildbearbeitungsprogramme eine Funktion für die Perspektivenkorrektur mit:
- In Adobe Photoshop unter Bearbeiten » Perspektivische Verformung, für RAW-Fotos unter Geometrie.
- In Darktable unter Perspektivenkorrektur
Perspektivenkorrektur
Nicht jedes Bildbearbeitungsprogramm hat eine Automatik, aber Reglern zum drehen, horizontal und vertikal in der Mitte kippen.
Das Verstellen ist bei einem komplexen Kippen der Kamera keine Einstellung, sondern ein Prozess, denn immer wieder müssen wir sondierien, ob die Kamera gekippt, gedreht oder geschwenkt war, weil wir nicht perfekt vor dem Gebäude gestanden haben.
Am einfachsten fällt die Korrektur, wenn das Bild zuerst gedreht wird, damit eine Wagerechte oder Senkrechte im Bild entsteht. Die Korrekturschritte danach sind immer Stückwerk: Etwas horizontale Korrektur, dann etwas vertikal korrigieren, wieder horizontal, wieder vertikal.
Vielen Fotografen fällt darum die schlichte alte Methode des Verzerrens ohne diese Regler leichter. In Photoshop muss das Bild von der Hintergrundebene getrennt werden, dann »Bearbeiten«, »Transformieren«, »Verzerren«. Ein Foto, das in mit einer gekippten und gedrehten Kamera aufgenommen wurde, wird oben verbreitert, bis die Linien parallel laufen, und muss nach unten schmaler werden.
Architekturfotografie: senkrechte Linien
Auf jeden Fall ist das Einrichten für saubere Architekturaufnahmen Übungssache. Um stürzende Wände in Architekturfotos zu vermeiden, muss die Kamera sorgfältig ausgerichtet werden.
Allen Anfang macht der Rahmen des Suchers oder des Displays der Kamera: Die senkrechten Linien im Bild werden so gut es geht parallel zu den Seiten gehalten. Viele Kameras bieten ein Raster auf dem Display – aber viele Fotografen fühlen sich vom eingeblendeten Raster gestört.
Wenn es dann ernst wird mit der Architekturfotografie, leisten Wasserwaagen, die es in unterschiedlichen Bauarten gibt, gute Schützenhilfe:
- Der einfache Würfel mit einer analogen Wasserwaage. Mit dem Sucher und ohne Stativ nutzlos.
- Elektronische Wasserwaagen, die ebenfalls auf dem Blitzschuh installiert werden. Ohne Sound genauso nutzlos wie eine Libelle, wenn die Aufnahme nicht mit dem Stativ erfasst wird.
- Elektronische Wasserwagen im Display haben heute die meisten Digitalkameras.
Im Vorfeld: Das Beschneiden vorausplanen
Selbst wenn das Motiv sorgfältig schon an der Kamera sorgfältig eingerichtet wird: Perfektionisten werden immer noch ein paar kleine Korrekturen durchführen.
Da auch die spätere Korrektur in einem Bildbearbeitungsprogramm das Abschneiden der Seiten nötig macht, lässt man dem Motiv schon bei der Aufnahme etwas Raum – einen Sicherheitsrahmen – nach oben und zu den Seiten und setzt es kleiner ins Bild. Entweder ein paar Schritte nach hinten oder etwas herauszoomen und mit einer kleineren Brennweite fotografieren; wenn es geht, die kleinsten Brennweiten lieber vermeiden.
Externe Quellen
- PTLens Stand-Alone Software, korrigiert kissen- und tonnenförmige Verzeichnung, Vignettierung, chromatische Aberration und Perspektive.
- Kunsthistorische Entwicklung der Perspektive
- Die kamerainterne Objektivkorrektur