Available Light: Straßenfotografie bei Nacht

Wenn das Licht nachläßt

Wenn das Licht am frühen Abend nachlässt und es langsam dunkel wird, sehen wir noch sehr gut. Dem Sensor der Kamera reicht das Licht allerdings nicht mehr. Im Automatikprogramm weicht die Kamera im Dunkeln auf einen hohen ISO-Wert aus. Mit zunehmender Dunkelheit werden die Fotos immer mehr Rauschen zeigen.

Das Stativ bringt keine Abhilfe, denn bei niedrigen ISO-Einstellungen werden die Belichtungszeiten zu lang und das Leben in den abendlichen Straßen würde Bewegungsunschärfe zeigen. Auf der anderen Seite verstärkt ein Schuss Bewegungsunschärfe den Live-Charakter der Straßenfotos.

Wenn Passanten durchs Bild eilen

Wer diesen Ansatz verfolgt, kann beim Fotografieren von nächtlichen Straßenszenen einen goldenen Mittelweg wählen. Das wäre z.B. eine Belichtungszeit von 1/20 oder sogar 1/10 sek für Aufnahmen aus der Hand.

Auch das Rauschen bei hohen ISO-Werten muss nicht um jeden Preis vermieden werden: Bei der Straßenfotografie geht es nicht um die Qualität der Fotos bei höchsten Ansprüchen, sondern um die Dokumentation, um Erinnerungen und Zeitgeist.

Straßenfotografie: Blaue Stunde
Die Blaue Stunde ist die optimale Zeit für die Straßenfotografie am Abend. Das Restlicht erlaubt noch Aufnahmen aus der Hand bei moderaten ISO-Werten.
Objektiv: Verwacklungsschutz oder Bildstabilisator
Man muss nur einen festen Standpunkt finden – Objektive mit Verwacklungsschutz oder Bildstabilisator ermöglichen deutlich längere Belichtungszeiten bei minimalem Verwackeln.

Straßenszenen bei Nacht fotografieren

Ohne Stativ ist das Programm TV oder S die beste Wahl. Der Fotograf gibt die Belichtungszeit vor, in der er ein Foto aus der Hand aufnehmen kann – z.B. 1/20 sek bei einem gut stabilisierten Objektiv.

  1. Kamera auf das Programm TV oder S stellen und eine Belichtungszeit für Aufnahmen aus der Hand vorgeben (z.B. 1/20 sek, je nach Objektiv).
  2. Kurze Brennweiten von 20 bis 50 mm verwenden, denn kurze Brennweiten verwackeln nicht so schnell.
  3. Am besten geeignet sind natürlich lichtstarke Objektive (z.B. mit F2,8). Je lichtstärker das Objektiv, um so besser gelingt auch das Scharfstellen im Dunklen.
  4. Auf das Histogramm achten: Die Lichter der Stadt dürfen nicht zu großen überbelichteten Bildstellen ausreißen.

Ein Stativ mag natürlich nicht jeder am Abend durch die Stadt tragen. Dann können Mauern, der Eingang zur U-Bahn und Bänke herhalten.

Fernauslöser kriegt man schon für kleines Geld: Ohne Fernauslöser verwackeln die Aufnahmen durch den Druck auf den Auslöser.
Die Alternative zum Fernauslöser ist der eingebaute Selbstauslöser der Kamera, der 2 oder 10 Sek abwartet und dann die Aufnahme auslöst. Vielleicht marschieren aber gerade dann Passanten durchs Bild …

Fotografieren mit hohen ISO-Werten

Moderne Kameras bringen heute bei ISO 3200 und selbst bei ISO 6400 noch akzeptable Qualität. Bei welchem ISO-Wert die Qualität der Fotos noch akzeptabel ist, muss jeder Fotograf für sich bestimmen. Eine ISO-Versuchsreihe ist hier angebracht. Wenn ISO ausgereizt ist, muss die Kamera das Foto länger belichten. Dann entsteht auf der einen Seite Bewegungsunschärfe bei bewegten Motiven und auf der anderen Seite verwackelt das Foto durch die Unruhe der Hand.

Belichtungszeit und Stabilisator

Mit kleinen Brennweiten genügt der Kamera eine kürzere Belichtungszeit. Allerdings sind Weitwinkelobjektive häufig nicht stabilisiert. Die meisten neuen Objektive mit längeren Brennweiten haben einen Bildstabilisator oder Verwacklungsschutz.

Canon Stabilisator / Verwacklungsschutz
Das Canon-Objektiv 18-55 mm ist mit 4 Blendenschritten stabilisiert
Sony Alpha 6500 Bildstabilisator
Sony setzt in Spiegelreflexkameras einen Stabilisator ein, der das Foto um 2,5 bis 4 Blendenschritte stabilisiert – so wirkt der Verwacklungsschutz bei allen Objektiven.

Die Hersteller geben als Maß für den Verwacklungsschutz Blendenschritte an. Jeder Blendenschritt erlaubt die Verdoppelung der regulären Belichtungszeit. Ein Verwacklungsschutz von 2 Blenden erlaubt eine vier mal längere Belichtungszeit. Mit einem 100 mm Objektiv können wir nach der alten Daumenregel mit 1/100 sek Belichtungszeit fotografieren, ohne das Bild durch die Bewegung der Hand zu verwackeln.

  • Sichere Zeit ohne Bildstabilisator: 1/100 sek
  • 1 Blendenschritt: Verwacklungsschutz: 1/50 sek
  • 2 Blendenschritte: Verwacklungsschutz: 1/25 sek

Eine Garantie ist der Verwacklungsschutz oder Bildstabilisator allerdings nicht – schon die Daumenregel Maximale Belichtungszeit = 1 / Brennweite ist nur ein Leitmotiv. Dennoch ist der Verwacklungsschutz bzw. Bildstabilisator in der Kamera oder im Objektiv ein großer Schritt hin zu scharfen Fotos auch bei wenig Licht.

Am Rande: Die Handys der jüngeren Generation greifen zu einem Trick, um Fotos bei Available Light ohne Stativ aus der Hand aufzunehmen: Ihre interne Bildbearbeitungssoftware setzt die Aufnahme aus einer schnellen Serie von Fotos zusammen.

nachtfotografie-handy-900

Blenden für das Fotografieren bei wenig Licht

Für das Fotografieren bei wenig Licht – Available Light – ohne Stativ sind lichtstarke Objektive mit großen Blenden gefragt. Je größer die Blendenöffnung, um so mehr Licht gelangt in kürzerer Zeit zum Sensor. Mit größeren Blenden wird aber auch die Tiefenschärfe immer geringer, dafür können lichtstarke Objektive bei wenig Licht besser und schneller fokussieren als weniger lichtstarke Objektive.

Fotografieren ohne Stativ
Blende F4,8 1/8 sek 70mm: Nicht die perfekte Schärfe einer Aufnahme mit dem Stativ, aber mit Blende F4,8 noch genug Schärfe für die Straßenszene bei Nacht.

30 sek Ruhe vor der Aufnahme, Anlehnungen und die Luft anhalten. Die Spiegelreflexkamera gegen das Gesicht drücken, die Spiegelvorauslösung einstellen, falls die Kamera diese Option bietet. Wer mit dem Display fotografiert: Arme an den Körper drücken.
Ganz banal: Eine Mauer, eine Bank suchen, Kamera abstellen und den Selbstauslöser der Kamera auf 2sek stellen.

Bei Fotos zur Blauen Stunde spielen Handykameras und Kompakte die lange Schärfentiefe durch ihren kleinen Sensor aus: Ihnen reichen die großen Blenden für kurze Belichtungszeiten.

Fotografieren im Dunkeln: ISO, Belichtungszeit und Blende

Diese drei Eingangsgrößen müssen miteinander kombiniert werden:

  • Welchen ISO-Wert kann ich noch akzeptieren?
    Das läßt sich am besten mit einer kleinen ISO-Reihe austesten: Kamera auf ein Stativ stellen und drei Aufnahmen bei wenig Licht mit ISO 1600, ISO 3200 und ISO 6400.
  • Wie gut ist der Bildstablisator meines Objektivs bzw. meiner Kamera?
    Nachlesen in den Unterlagen zum Objektiv oder der Kamera oder im Internet heraussuchen. Trotzdem austesten!
  • Wie lichtstark ist mein Objektiv und reicht die geringe Schärfentiefe der großen Blenden?
    Auf größere Entfernung fokussieren (z.B. 10 bis 20 m mit einem 50 mm-Objektiv) und keine langen Brennweiten benutzen: Das bringt eine relativ lange Schärfentiefe auch bei großen Blenden.

Höllisches Schwarz und weiße Löcher

Am Abend und in der hell erleuchteten Umgebung der Stadt ist es nicht einfach nur dunkel. In der City haben wir es mit höllisch schwarzen Ecken und strahlend hellen Lichter zu tun. Die hellen Lichter aus Fenstern, von Laternen und der Werbung brennen weiße Löcher in das Fotos, während das Schwarz im Bild schon ohne Details bleibt. Der Kontrastumfang der Kamera – der Bereich zwischen dem hellsten und dem dunkelsten Punkt, den die Kamera noch festhalten kann – ist überschritten.

Nachts fotografieren

Am besten erkennt man das Überschreiten des Kontrastumfangs am Histogramm der Kamera. Wenn die Striche des Histogramms am rechten und linken Rand so hoch sind wie hier, liegen viele Bildpunkt vollkommen im Schwarz und im Weiß.

Schwarzweiß für Straßenfotografie bei Nacht

Direkt in Schwarzweiß fotografieren beherrschen die meisten Kameras. Bei RAW-Aufnahmen zeigen sie u.U. das Bild auf dem Display direkt in Schwarzweiß (was eine bessere Belichtungskontrolle erlaubt), aber das RAW-Bild enthält die vollen Farben.

Straßenszene bei Nacht China, fotografiert von J. Suppan
Fuji GFX 50R, 1/60 s f/8 ISO 12800

Bildbearbeitung

Jedes gute Foto kostet eine Nacht in der Dunkelkammer – ein Geständnis aus einem alten Fotolehrbuch (Andreas Feininger).

Belichten auf die Lichter – auch wenn die unbearbeiteten Aufnahmen sehr dunkel werden. Die Bildbearbeitungsprogramme hellen die dunklen Ecken in RAW-Fotos erstaunlich gut auf, ohne die Lichter in weiße Löcher zu ziehen. Eine Tiefen / Lichter-Korrektur bieten viele Bildbearbeitungsprogramme, der Protokollpinsel ist heute in vielen Programmen vertreten.

Darktable hat für die Korrektur von gleichzeitigen Unter- und Überbelichtungen, die bei Gegenlicht schnell passieren, die Schatten- und Spitzlichtkorrektur in petto.

Straßenfotografie am Abend und bei Nacht

Dennoch sind Straßenszenen in der Stadt ein guter Start in das Fotografieren bei Available Light, denn die Lichter der Stadt ersetzen in einem gewissen Grad das Tageslicht. Auf die Automatik der Kamera darf sich der Fotograf hier aber nicht verlassen: Die Automatik besteht darauf, Fotos immer in den Tageslichtcharakter zu versetzen.

Jetzt auf die Blende achten: Wenn die Kamera direkt auf einen Ort mit viel Licht – große Lichtwerbung, Scheinwerfer, ein hell beleuchtetes Straßencafé – angesetzt wird, kann es trotz der abendlichen Szene zu einer Überbelichtung kommen. Dagegen hilft auch eine Belichtungskorrektur nur begrenzt. Welche Einstellung dann die Richtige ist (die meisten Kameras bieten Belichtungskorrekturen von -1/3 bis -3 Blenden) können wir heute anhand eines Probefotos feststellen.