Perspektivenkorrektur: Stürzende Linien korrigieren

Wenn das Foto aus dem Rahmen fällt

Wenn senkrechte Wände im Foto nur ein paar Grad kippen, beschleicht uns ein leichtes Unbehagen: Fällt der Bau gleich aus dem Rahmen?

Das zweidimensionale Bild hat keine Tiefe, sondern erzeugt den Eindruck von Tiefe durch die Verkleinerung und das Zusammenlaufen der Linien zum Fluchtpunkt.

Die Kamera ist kein Auge

Die Kamera funktioniert nicht wie das menschliche Sehen. Wird sie nach oben oder unten gekippt, laufen die senkrechten Linien nach oben oder unten zusammen: So entstehen die stürzenden Linien.

Unsere Augen korrigieren die Konvergenz – das Zusammenlaufen der senkrechten Wände – automatisch, die Kamera hingegen nicht.

Schräge schiefe Wände bei gekippter Kamera
Wenn irgendwo nur eine Linie senkrecht bleibt, stören die stürzenden Wände bei Wolkenkratzern, Hochhäusern und Kirchentürmen nicht.
Schräge schiefe Wände bei gekippter Kamera
Selbst wenn der Fluchtpunkt der Linien außerhalb des Fotos bleibt, verstehen wir das Bild.
Schräge schiefe Wände bei gekippter Kamera
Nicht immer reicht der Platz für ein paar Schritte zurück, nicht immer ist das Weitwinkel weit genug. In den Rahmen gequetscht wirkt das Foto einfach schräg.

Die Erfindung der Perspektive war eine Sensation in der Renaissance. Die Maler liessen die Senkrechte parallel zum Bildrand laufen, die Horizontale verhält sich gemäß der Perspektive und verkleinert sich nach oben.

Die Fotografie hält sich an diese Konvention, um das Bild verständlicher zu machen.

raphael-fresco
In der Malerei laufen die Linien der Horizontalen – des Bodens – zusammen und verkürzen sich nach hinten. Aber Maler lassen die Vertikale, die senkrechten Linien des Bildes, trotzdem parallel zur rechten und linken Seite des Bildes laufen.
pisa
Wenn der Abstand und die kleinste Brennweite nicht reichen, muss die Kamera gekippt werden, um das Motiv komplett ins Bild zu setzen. Die Fotografie hat schon früh Techniken wie Tilt-Shift-Objektive und Fachkameras entwickelt. Heute können wir die Bildbearbeitung und Objektivkorrektur einsetzen, um die Senkrechte ins Lot zu bringen.

Auf die Senkrechte gepolt

Die Froschperspektive hat ihren Reiz – aber für den Betrachter bedeuten stürzende Linien im Bild immer Übersetzungsarbeit für den Kopf im Hintergrund.

Wir nehmen stürzende Wände nicht bewusst wahr, Maler malen selten stürzende Linien. Unsere Computerspiele nutzen eine besondere Perspektive – die Isometrie –, die einen Blick von oben auf die Szene gibt, aber die senkrechten Linien nicht stürzen lässt.

Senkrechte in literarsichen Comics

Die geheimnisvollen Städte (Peters, Schuiten)

Malerei: Frei von stürzenden Linien

Pierre-Auguste Renoir: Monet beim Malen in seinem Garten in Argenteuil, 1873

Fotos mit stürzenden Linien wurden schon in der Dunkelkammer mit einem beträchtlichen Aufwand korrigiert. Seit den Anfängen der Fotografie gibt es die Fachkamera, die durch ein kompliziertes Verfahren stürzende Wände schon vor der Aufnahme entzerren kann.

Perspektivenkorrektur in der Fachkamera

Die Fachkamera auf der optischen Bank: Das Schwenken des Objektivs gegen die Film- oder Sensorebene entzerrt das Bild schon vor der Aufnahme. Bis heute unerlässlich für die Produktfotografie.

shiftobjektiv

Shiftobjektive werden als Wechselobjektive für »normale« Kameras eingesetzt.

Ein Beispiel: Rekord-Shift-Objektiv: Laowa 4,5/15 mm Zero-D Shift – Weitwinkel-Shiftobjektiv für die Architekturfotografie.

Perspektivenkorrektur im Bildbearbeitungsprogramm

Wer noch Bilder in der Dunkelkammer mit dem Vergrößerungsgerät entzerrt hat oder mit der Fachkamera Architektur fotografiert hat, weiß die Perspektivenkorrektur im Bildbearbeitungsprogramm zu schätzen. Heute bringen die Bildbearbeitungsprogramme eine Funktion für die Perspektivenkorrektur mit:

darktable-perspektivenkorrektur-720
Perspektivenkorrektur in Darktable
darktable-perspektivenkorrektur-automatisch-720
Automatische anpassen anhand der senkrechten Linien im Bild

Perspektivenkorrektur

Nicht jedes Bildbearbeitungsprogramm hat eine Automatik, aber Reglern zum drehen, horizontal und vertikal in der Mitte kippen.

Das Verstellen ist bei einem komplexen Kippen der Kamera keine Einstellung, sondern ein Prozess, denn immer wieder müssen wir sondierien, ob die Kamera gekippt, gedreht oder geschwenkt war, weil wir nicht perfekt vor dem Gebäude gestanden haben.

Manuelle Korrektur: Drehen und entzerren. Die Objektivkorrektur arbeitet mit den Objektivdaten der Hersteller, in der manuellen Korrektur wird das Bild gedreht und entzerrt.
Vertikale Korrektur, horizontale Korrektur stürzende Linien Die vertikale Korrektur verbreitert oder staucht das Bild am oberen Rand, die horizontale Korrektur verbreitert oder staucht das Bild am rechten und linken Rand.

Am einfachsten fällt die Korrektur, wenn das Bild zuerst gedreht wird, damit eine Wagerechte oder Senkrechte im Bild entsteht. Die Korrekturschritte danach sind immer Stückwerk: Etwas horizontale Korrektur, dann etwas vertikal korrigieren, wieder horizontal, wieder vertikal.

Vielen Fotografen fällt darum die schlichte alte Methode des Verzerrens ohne diese Regler leichter. In Photoshop muss das Bild von der Hintergrundebene getrennt werden, dann »Bearbeiten«, »Transformieren«, »Verzerren«. Ein Foto, das in mit einer gekippten und gedrehten Kamera aufgenommen wurde, wird oben verbreitert, bis die Linien parallel laufen, und muss nach unten schmaler werden.

Entzerren im Bildbearbeitungsprogramm
Das Ergebnis der Transformation »Entzerren« ist dasselbe wie mit der Perspektivenkorrektur. Aber das Entzerren auf einer Ebene mit Hilfe von Hilfslinien ist am Ende doch intuitiver.
Zum Schluss muss das Bild etwas in die Länge gezogen werden, denn das Foto zeigt das Gebäude bei einer vertikal gekippten Kamera verkürzt.

Architekturfotografie: senkrechte Linien

Auf jeden Fall ist das Einrichten für saubere Architekturaufnahmen Übungssache. Um stürzende Wände in Architekturfotos zu vermeiden, muss die Kamera sorgfältig ausgerichtet werden.

Allen Anfang macht der Rahmen des Suchers oder des Displays der Kamera: Die senkrechten Linien im Bild werden so gut es geht parallel zu den Seiten gehalten. Viele Kameras bieten ein Raster auf dem Display – aber viele Fotografen fühlen sich vom eingeblendeten Raster gestört.

Wenn es dann ernst wird mit der Architekturfotografie, leisten Wasserwaagen, die es in unterschiedlichen Bauarten gibt, gute Schützenhilfe:

  1. Der einfache Würfel mit einer analogen Wasserwaage. Mit dem Sucher und ohne Stativ nutzlos.
  2. Elektronische Wasserwaagen, die ebenfalls auf dem Blitzschuh installiert werden. Ohne Sound genauso nutzlos wie eine Libelle, wenn die Aufnahme nicht mit dem Stativ erfasst wird.
  3. Elektronische Wasserwagen im Display haben heute die meisten Digitalkameras.
Wasserwage in der Livevorschau

Im Vorfeld: Das Beschneiden vorausplanen

Selbst wenn das Motiv sorgfältig schon an der Kamera sorgfältig eingerichtet wird: Perfektionisten werden immer noch ein paar kleine Korrekturen durchführen.

Da auch die spätere Korrektur in einem Bildbearbeitungsprogramm das Abschneiden der Seiten nötig macht, lässt man dem Motiv schon bei der Aufnahme etwas Raum – einen Sicherheitsrahmen – nach oben und zu den Seiten und setzt es kleiner ins Bild. Entweder ein paar Schritte nach hinten oder etwas herauszoomen und mit einer kleineren Brennweite fotografieren; wenn es geht, die kleinsten Brennweiten lieber vermeiden.

photpshop-raw-geometrie-vorher
Geschlossene Räume zwingen schnell zum Kippen der Kamera.
photpshop-raw-geometrie
Automatische Korrektur in Photoshop RAW unter Geometrie

Externe Quellen